Mittwoch, 05.06.2013
In der Nacht hat es geregnet, aber der Boden ist trotz der erst kurz zurückliegenden Regenzeit bereits wieder so ausgetrocknet, dass bereits am Morgen nichts mehr davon zu erkennen ist. Staubtrocken, der Boden ebenso wie das Flussbett.
Mit den ersten Sonnenstrahlen machen wir uns auf den Weg zum Stamm der Karo, dem einzigen Stamm im Omo Valley, der am Fluß lebt und auch Fischfang betreibt. Und es ist auch einer der ganz abgelegenen Stämme. 65 km sind es von Turmi, dem nächstgelegenen Ort, durch wildes und einsames Gebiet bis zu den Karo.
Unterwegs kreuzt eine Schlange unseren Weg. „Green Mamba“ meint Mamo trocken. Ich steige von Sandalen auf Stiefel um. Sonst nur Weite.
Um die Mittagszeit erreichen wir zum ersten Mal den Fluß Omo.
Heute leben noch etwa xxx Karo entlang des Omo in traditionellen Hütten. Dabei teilen sich mehrere Familien ein Grundstück, auf dem dann jede Familie ihre Getreideschober, Unterstände für das Vieh sowie Wohnhütten hat.
Ähnlich wie die Mursi tragen die Karo-Frauen einen umfangreichen Lippenschmuck. Allerdings nicht als Lippenteller, sondern als „Sticker“, die etwas an Piercing erinnern
Was wir bereits bei den Arbore auf unserer ersten Etappe lernen mussten, bestätigt sich leider auch hier: Je weiter abgelegen die Stämme sind, desto stärker sind noch Rituale verbreitet, die für uns unvorstellbar sind. So ist es bei den Arbore zwar so, dass voreheliche auch sexuelle Beziehungen üblich sind. Bekommt aber eine unverheiratete Frau ein Kind, so wirft sie es direkt nach der Geburt in den Busch oder in den Fluss Omo. Dasselbe gilt für Kinder, die bei der Geburt bereits kleine Zähne haben. Es gilt dies als böses Omen und ist das Todesurteil für die, die gerade erst geboren wurden.
Es war lange Zeit nicht möglich, die Karo von diesem Ritual abzubringen. Zu tief ist es in deren Kultur verwuzelt und zu schwierig war der Zugang zu ihnen. Auch die mit Spendenmitteln finanzierte „Omo Child Care“ Organisation tat sich immens schwer. Vor einigen Jahren wurde jedoch durch Hilfsorganisationen eine Schule in der Nähe des Gebiets des Stammes errichtet und es wächst eine Generation „Youngsters“ heran, die durch ihre Ausbildung offener mit den Hilfsorganisationen umgeht. Diese „Youngsters“ bilden heute das Bindeglied zwischen dem Stamm und der Omo Child Care Organisation und versuchen zu erreichen, dass die Frauen ihre Kinder nicht töten, sondern über diese „Youngsters“ an Omo Child Care übergeben. Es gelingt dies leider noch nicht immer, aber doch zumindest in der überwiegenden Zahl der Fälle. Und Omo Child Care kümmert sich dann um Adoptiveltern für diese Kinder, meist aus den USA. So ist die Ironie des Schicksals, dass das, was noch vor wenigen Jahren für diese Kinder den sicheren Tod bedeutet hatte heute die Chance auf ein Leben in einer zumindest aus unserer Sicht besseren Welt ist.
Am frühen Nachmittag sind wir zurück im Turmi, dem letzten Ort auf der Route entlang des Lake Turkana, von dem wir wissen, dass man wenngleich mit Einschränkungen, noch das Notwendigste einkaufen kann. Spätestens in Nakuru in Kenia sollte es wieder Sprit geben. Das sind, wenn wir uns nicht verfahren, etwa 800km und sollte eigentlich kein Problem darstellen. Da wir keine verlässlichen Informationen über den Zustand der Strecke und die Verfügbarkeit von Diesel haben, gehen wir auf Nummer sicher und füllen nochmals Sprit nach. Mit nunmehr 210 Liter Diesel an Bord sollen wir für alle Fälle gerüstet sein.
Bevor wir uns auf den Weg nach Omorate, der Grenzstation nach Kenia machen, verabschieden wir uns ganz herzlich von Mamo, der uns als professioneller und kundiger Guide in den vergangenen zwei Tagen durch das Omo Valley führte. Manche der Stämme, insbesondere der der Mursi, haben bereits damit begonnen, ihr Leben auf Touristen auszurichten und wie wir von anderen Reisenden später erfahren haben, weckt deren Auftreten schon Assoziationen an eine Folklore Show. Besucht man jedoch die Stämme in den abgelegeneren und schwerer zu erreichenden Dörfern, so bekommt man noch Einblicke in deren traditionelle Welt, die so ganz anders ist, als alles, was wir so kennen.
Zwei Stunden später erreichen wir mit Omorate, wenngleich noch immer rund 60km von der Grenze entfernt gelegen, die Grenzstation nach Kenia. Hier sind alle Ausreiseformalitäten zu erledigen und insbesondere das Carnet abzustempeln. Eigentlich kein Problem,. Und obwohl es bereits nach 17.00 Uhr ist, geht die Abwicklung zügig voran und nach 15 Minuten haben wir unsere Ausreisestempel. Außer uns war in den letzten zwei Tagen auch noch niemand hier. Dann geht es zum Zoll, und plötzlich großes Problem.
Als wir 5 Monate zuvor nach Äthiopien einreisten, hat der dortige Grenzbeamte als Ausreiseort „Moyale“, den einzigen so ganz offiziellen Ausreiseort nach Kenia, in die Zolldokumente eingetragen. Und jetzt erzählt uns der Zollbeamte, dass wir unbedingt über Moyale, was etwa 600km weiter östlich liegt, ausreisen müssen. Mindestens 30 Mal erwähnt er das Wort „Process Book“ und dass er nichts machen könne. Oder wir sollen nach Addis fahren (1.000 km) und den handschriftlich in das Zolldokument eingetragenen Ausreiseort ändern lassen. Ob ich ihn jetzt einfach mit seinem „Process Book“ erschlagen soll? Nein, wir schlagen ihn mit seinen eigenen Waffen: „O.k., wir müssen nach Moyale. Wir haben aber soeben an genau dieser Grenzstation den Ausreisestempel in den Pass bekommen. Und das Visum ist nur für eine Einreise gültig. Sie können uns ja nicht erst einen Ausreisestempel in den Pass machen, und uns dann wieder in das Land zurück senden. Notfalls müssen wir bis morgen warten, damit wir dies mit dem Manager klären können?“ Was man dazu wissen muss: Der für die Gesamte Zollstation Verantwortliche ist ein Freund von Mamo und wir haben ein entsprechendes Empfehlungsschreiben dabei. „O.k., das ist ein Problem. Ich glaube ich kann euch helfen“ – macht seine Schublade auf, holt den Stempel und 1 Minute später haben wir Stempel und Unterschrift in unserem Carnet. Der Gedanke, dies wenngleich erst am nächsten Tag mit seinem Vorgesetzten diskutieren zu müssen, hat ihm dann wohl doch nicht so gut gefallen. Geht doch :-).
Übernachtung dann in Omorate im Dagmavi Hotel, dem absoluten „In Treff“ von Omorate. Ansonsten ist Omorate ein Ort, der seine Existenzberechtigung hauptsächlich der Grenzstation verdankt – und vielleicht eines Tages der Brücke über den Omo, wenn sie denn mal irgendwann fertiggestellt ist.