Dienstag, 08.01.2013

Wir wissen, dass es ein langer Weg wird, also machen wir uns ohne uns von den unzähligen Mücken zu verabschieden mit den ersten Sonnenstrahlen auf den Weg. Die vielen kleinen Straßen von Wad Madani sind auf dem GPS nicht verfügbar, also grobe Orientierung und nach Kompass Richtung Nord-Ost. Irgendwo müssen wir dort auf die Straße nach Gedaref treffen.

Auf relativ gut ausgebauter Straße geht es zügig voran, das GPS bestätigt unser Gefühl, dass der Weg langsam aber kontinuierlich in Richtung äthiopisches Hochland ansteigt. Noch sind wir auf 400m über NN, wenn wir am Lake Tana sind werden wir zwischendurch 2.000m höher gewesen sein.

Mit der Höhe ändern sich Landschaft und Leute. Die Sandwüste ist einer Steppe gewichen und das nun reichlicher vorhandene Futter ermöglicht es auch sesshaften Völkern, größere Kamelherden an einem Ort zu halten. Die Häuser sind fortan rund und mit Reetdächern gedeckt. Das soll sich die nächsten 1.500km auch kaum ändern.

Die Strecke scheint sich ins unendliche zu ziehen, aus der Steppe wird eine Busch-Savanne. In Gedaref dann Abzweigung nach Meterma, der Grenze zu Äthiopien. Die Straße, wie mit dem Lineal gezogen, verschwindet erst am Horizont.

Kurz vor der Grenze dann noch einmal „Freude am Tanken“ – bei einem Preis von umgerechnet 20 Ct. pro Liter Diesel füllen wir alle Tanks und Reservekanister. Dann die Grenze, zwei Überraschungen:

Es dauert nicht einmal eine Stunde, dann haben wir alle notwendigen 37 Stempel für die Ein- und Ausrreise, das Carnet ist abgestempelt. Das Zollformular ausgefüllt und wir erhalöten gleich eine Genehmigung für unseren Mobby für 180 Tage. Nach den bisherigen Erfahrungen, bei denen uns die Grenzübergänge immer mehrere Stunden Geduld abverlangten – ein Traum.

Die große Überraschung ist aber die sich schlagartig ändernde Kultur. Getrennt durch eine über die Straße gespannte „Grenz-Schnur“ zwei völlig unterschiedliche Welten. Nach Wochen in schwarz und  weiß, Straßen nahezu ohne Kinder und Frauen, nun auf einen Schlag das krasse Gegenteil: Die Straße gleicht einer Fußgängerzone, angereichert um eine noch größere Anzahl an Getier aller Art: Von der Kuh bis zum Hund und vom Huhn bis zum Esel. Die Frauen bunt gekleidet, keine Kopftücher und zwischen alldem unzählige Kinder.

Das Thema „Kinder“ wird uns in unterschiedlichster Form durch ganz Äthiopien begleiten. Das Bevölkerungswachstum ist eines der höchsten weltweit. Hatte Äthiopien 1970 noch 30 Millionen Einwohner, waren es im Jahr 2000 bereits 65 Millionen, heute sind es 88 Millionen und bis zum Jahr 2025 rechnet man damit, dass die Bevölkerung  125 Millionen erreichen wird. Entsprechend ist das Straßenbild von Kindern und Jugendlichen geprägt.

Es ist bereits 15.30Uhr und wir müssen weiter. Noch 200 km bis Gonder auf gut ausgebauter Strecke, dann nochmals 60 km Piste bis bei Gogora am Lake Tana und dann noch ein kleines Stück zum Kim & Tim Village.

Die Nacht bricht bereits herein, als wir kurz vor Gonder die Abzweigung zum Lake Tana erreichen. Weiterfahren, oder nicht ? Der Gedanke an ein kühles Bier am See und Angela und Antonio zu treffen, macht uns den Entschluss etwas leichter. Die Straße wird zum völligen Elend, rabenschwarze Nacht, halb zerfallene Brücken, keine Menschenseele weit und breit. Ein ganz komisches Gefühl kommt auf. Und dann beginnt sich noch das in der jordanischen Wüste abgerissene und nur provisorisch wieder befestigte Trittbrett auf der Fahrerseite zu verselbständigen. Nach einer Stunde haben wir gerade 30km geschafft, als wir in einen kleinen Ort kommen.

Von Zombies, Frauen im Hotel und einer abenteuerlichen Nachtfahrt

Die Szene nahm aber gespenstische Züge an. Ein kleiner Ort, ein paar fahle Lichter und als wir anhalten, ist das Auto sofort umstellt. Die Menschen drücken ihre Gesichter an die Scheiben, außen herum alles dunkel, und alles was man sieht: Augen und Zähne, sonst nichts! Hiilfe, wir sind in Zombie-Land! Ein sau mulmiges Gefühl, als ich trotzdem aussteige. Gespenstische Umgebung – doch auch hier alle freundlich und hilfsbereit. Es gibt sogar so etwas, was man im weitesten Sinne und mit ausreichend Fantasie als Hotel, oder vielleicht besser „vier zusammengenagelte Wände mit Dach“ bezeichnen könnte. Ich beschließe dennoch entgegen Olyas heftigsten Widerstand, dass wir hier übernachten. Dass es hier wieder kühles Bier gibt, hat auch seine Schattenseite, denn so manchem schmeckt offensichtlich auch in dieser abgelegenen Gegend dieses ur-deutsche Getränk mehr als ihm gut tut. Der Besitzer der „vier Wände mit Dach“ zeigt mir das „Zimmer“, und spätestens jetzt besteht Olya endgültig darauf, dass wir weiterfahren. Ein kleiner Absatz im Reiseführer erklärt, warum das „Zimmer“ in rosa mit roten Lichtern gehalten ist: „In Äthiopien übernachten in den abgelegenen Gebieten nur Prostituierte in Hotels“. O.k., verstanden. Olya verbarrikadiert sich im Auto und ich höre nur noch „Miiiichaaaa! Ich steige hier nicht aus – nur wenn ich tot bin!“

Wir fassen die Lage zusammen: Eine Abbruchbude als Prostituiertenquartier, umgeben von freundlichen Zombies, ein Drittel davon voll bis Unterlippe Oberkante. Rabenschwarze Nacht, bis zum nächsten Ort in jede Richtung mindestens 30km durch Niemandsland. Bleiben oder Weiterfahren – Cholera oder Pest ?

Das Aufleuchten des Handys beschert der Umgebung auch kein romantischeres Ambiente. Aber eine SMS von Antonio und Angela hat auf irgendwelchen Verschlungenen Pfaden ihren Weg in dieses abgelegene Ende der Welt gefunden. „40 km until Tim&Kim – see you for a cold beer, Antonio“. O.k., wir fahren – mit einem ganz, ganz komischen Gefühl im Bauch.

Noch 27km sagt das GPS, zerfallene Brücken, Wellblechpiste, badewannengroße Schlaglöcher wechseln sich mit nicht mindergroßen Gesteinsbrocken ab, und sonst nur Nacht. Ich konzentriere mich auf die Strecke, unterbrochen durch Erinnerungen an Szenen aus „Zombie“, „I am Legend“ und „Jurassic Park“. Herr, lass´ uns hier bloß keine Panne haben! Noch 15km, noch 10 km, die Strecke will bei Tempo 30 kein Ende nehmen. Noch drei km, noch zwei km, Hoffnung kommt auf – da müssten doch bald die ersten Lichter von Gorgora zu sehen sein. Noch 500m, wir sehen, wie die Straße in der Dunkelheit eine Biegung um einen Berg macht – dort muss es sein ! Noch 300m – wir sind da! Aber auch nur laut GPS. Zum Glück hatten wir die Sprachansage des GPS ausgeschaltet, denn eine freundliche Ansage „Sie haben Ihr Ziel erreicht“ wäre nicht das gewesen, was wir in dem Augenblick gebraucht hätten. In der Realität stehen wir nämlich weiter mitten in der Nacht irgendwo in Äthiopien in the Middle of Nowhere. Da es keine Abzweigung gibt, bleibt uns auch jegliche Entscheidung, welchen Weg wir nehmen sollen, erspart. Nach weiteren geschätzt 1000 Schlaglöchern und gefühlt doppelt so vielen Steinbrocken und Bodenwellen erscheint vor uns eine unbeleuchtete Siedlung. Ortsschild gibt es keines, und wenn es eines gäbe, dann müsste es wohl „Ghost Town“ heißen. Hoffentlich stören wir jetzt nicht irgendwelche Geister oder Vampire oder anderes Ungetüm, das uns in dem Augenblick durch den Kopf geht, aber wir fahren mit allem, was unser Mobby an Licht zu bieten hat, suchend durch den Ort. Und finden ein kleines, handgemaltes Brett, das zwischen zwei Häusern hindurch zum „Tim & Kim Village“ weist. Also Abbiegen von der nicht vorhandenen Straße auf einen noch weniger vorhandenen Weg.

Der Weg zwischen den Gebäuden ist so eng und von Gräben durchzogen, dass Zweifel aufkommen, ob uns dieser Weg wirklich zu Tim&Kim, oder direkt in die Unterwelt führt. Wir halten an. Bevor wir beratschlagen können, wie es weiter gehen soll, ist das Auto umringt. Keine Ahnung, woher sie plötzlich alle kommen. Die Situation ist gewohnt gespenstisch, aber die Menschen zum Glück auch gewohnt freundlich. Ja, hier geht es zu Tim&Kim. Also weiter über Stock und Stein, bis vor uns ein Graben das Weiterkommen jäh beendet. Bei Tageslicht kein Problem, aber mitten in der Nacht ? Wir halten erneut an. Da kann es eigentlich nicht weiter gehen. Umdrehen geht auf diesem schmalen Weg auch nicht und es reift der unbehagliche Gedanke, jetzt einfach hier zu übernachten und die Situation bei Tageslicht neu zu betrachten. Wir haben uns mit dem Gedanken schon beinahe abgefunden, als in der Ferne ein Licht auf uns zukommt. Als es näher kommt sehen wir, dass „das Licht“ bewaffnet ist. Entweder ist das jetzt gut, oder ganz ganz schlecht. „To Tim & Kim ?“ hören wir das „bewaffnete Licht“ rufen. Eine Minute später steht ein mit Taschenlampe und Gewehr bewaffneter Mann vor uns, und stellt sich zu unserer Erleichterung und Freude als Mitarbeiter von Tim&Kim vor. O.k., ihm nach, mutig durch den Graben, ein Stück am Berg entlang und wir sind da. Geschafft! Tim empfängt uns lachend mit den Worten „Wollt ihr wissen, wo ihr euer Zelt aufbauen könnt, oder zuerst ein kaltes Bier ?“ Tim ist Holländer, womit die Ernsthaftigkeit der Frage ebenso wie die Antwort darauf auch schnell geklärt waren. OIya findet in diesem Augenblick Worte wie „Paradies“ und „traumhaft“ – und wir trinken in diesem Augenblick das wahrscheinlich beste Bier, das man sich vorstellen kann.

Antonio und Angela sind noch nicht da – hmm, die sollten eigentlich vor uns sein. Wir machen uns erste Sorgen und schreiben eine SMS mit der Beschreibung der Abzweigung und dem Hinweis, dass es dann, wenn sie glauben, dass es nicht mehr weiter geht, genau der richtige Weg ist. Eine Stunde später, es ist schon 23h, sind sie da. Sie haben kurz vor Gonder eine Abkürzung (!) genommen (die wir ursprünglich auch nehmen wollten, aber glücklicherweise verpasst hatten): 20km kürzer, 2h länger ;).