Dienstag, 04.06.2013

Wieder stehen wir zu Zeiten auf an denen der Durchschnittsstudent Europas erst schlafen geht, aber daran gewöhnen wir uns noch. In Äquatornähe geht eben die Sonne um 6 Uhr auf und um 18 Uhr unter. Für heute Vormittag steht der Besuch beim Stamm der Mursi bevor. Dies ist einer der knapp zehn Stämme des Omo-Valley der heute immer noch so lebt, wie sie es wohl vor über tausend Jahren gemacht haben – Einschließlich jeglicher kultureller Bräuche und Traditionen.

Um einen besseren Kontakt mit diesem fast komplett vom Rest der Welt abgeschotteten Volk zu treten beschließen wir erst einmal die Kamera versteckt zu halten und gehen durch das Dorf. Wir werden freundlich empfangen und begrüßen uns Gegenseitig durch Händeschütteln und freundliche Blicke. Ein bisschen Konversation können wir nur mit Beihilfe von Mamo führen. Er beherrscht die meisten Sprachen der im Omo Valley lebenden Stämme.

Dabei zeigt er uns den Aufbau des Dorfers. So lebt jede Familie, im Regelfall bestehend aus 6 und mehr Mitglieder zusammen in einer dieser Holzhütten, wobei diese nur zum Schlafen oder in der Regenzeit zum Schutz hergenommen werden. Ist die Mutter schwanger, so wird eine zweite Holzhütte gebaut und sie schläft separiert vom Rest der Familie in der anderen Hütte. Daneben ist es Brauch, dass die Frauen, sobald sie erwachsen werden sogenannte „Lip-plates“ tragen: Sprich es wird unterhalb der Unterlippe mit einer Klinge ein Loch hineingeschnitten und ein kleiner Tonteller eingesetzt. Über die nächsten Wochen und Monate, wird der Teller regelmäßig vergrößert, bis man am Ende Teller von 12cm Durchmesser und größter trägt. Je größter das „Lipplate“, je schöner die Frau! So wird es zumindest in deren Gesellschaft gesehen. Selbiges wird auch mit den Ohren gemacht. In Deutschland kennt man dies unter den sogenannten „Plugs“.

Nachdem der erste Kontakt hergestellt wurde, werden wir schon von einer Familie eingeladen sich zu ihnen auf ihren Hausteppich, eine getrocknete Kuhhaut zu gesellen. Wir sind vor allem im Mittelpunkt des Interesse der Kinder dieses Stammes. So ist einer sogar von Michas großen Zeh fasziniert und fängt an ihn zu erkunden. Nach ein paar Minuten werden wir sogar zum Mittagsmal der Familie eingeladen, welches wir jedoch dankend ablehnen. Daneben erzählt uns Mamo mehr über die Lebensweise der einzelnen Stämme. So kennen diese dort nicht einmal so etwas wie Jahre oder Monate. Dort zählt man in Regenzeiten a là „ich bin vor 35 Regenzeiten geboren worden“. Globales Wissen wie die Landesgrenzen von Äthiopien oder dass die Erde eine Kugel ist sind noch nicht in diese völlig verschiedene Kultur vorgedrungen.

Weiterhin werden wir über den Schmuck und deren Bedeutung bei den Frauen aufgeklärt. So lässt sich daran erkennen, ob eine Frau schon verheiratet ist oder nicht. Und wenn ja, dann kann man auch erkennen, ob sie die angesehene Erstfrau ihres Gatten oder nur eine Zweitfrau ist, deren gesellschaftlicher Rolle sehr weit unten ist. Wobei primär nur die wohlhabenderen Männer mehrere Frauen besitzen. Denn bei der Heirat hat die Familie des Mannes der Familie der Frau auch einen „Festpreis“ von 38 Rindern und 2 Kalaschnikows zu entrichteten, den sich nicht jeder leisten kann. So etwas wie eine Bezahlung in Raten ist dort in gemeinsamer Absprache auch möglich und üblich. Im Endeffekt ist dort „finanziell“ lukrativer Mädchen als Buben zu gebären. Also andersherum als zum Beispiel in Indien.

Nach ein paar Fotos werden wird zum Abschied von der Hälfte des Dorfes zurück zum Auto begleitet. Bevor wir fahren haben wir noch ein Abschiedsgeschenk für den Stamm: So haben wir ein Bild von unter anderen dem Medizinmann und Stammeshäuptling mit unserem kleinen Drucker ausgedruckt und ihnen geschenkt. Davon waren hin und weg und der heutige Tag wurde fast zum Neuen „Stammesfeiertag“ ernannt! Die Menschen sind schon begeistert, wenn man ein Foto von ihnen macht und sie sich selbst im Display der Kamera sehen können. Aber dann noch ausgedruckt! Das war etwas völlig neues für sie, so worden wir herzlichst vom Häuptling verabschiedet und haben uns auf den Weg zurück nach Jinka zum Mittagessen gemacht.

Es war ein einzigartiges Erlebnis zu sehen wie dieser völlig abgelegene Stamm lebt und mehr über ihre Kultur und Bräuche zu erfahren.

Für unsere geplante Route in der kommenden Woche entlang des Lake Turkana ist der jetzige Mittagsbesuch in Jinka die letzte größere Stadt an der es zuverlässig Lebensmittel, Trinkwasser und Diesel auf den nächsten ca. 800km gibt. So tanken wir unseren 160l Tank und auch die zwei 20l Kanister auf dem Dach bis zum letzten Tropfen ganz voll. So sollten uns die gut 200l Diesel für die Strecke auch bei schwerem Gelände auf jeden Fall reichen. Erste kleinere Reparaturen werden auch noch durchgeführt, so ist eine Schraube für die Halterung des Frontkotflügels gebrochen, welche ersetzt werden muss. Wir wollten auf das einzigartige Erlebnis, den Kotflügel am Lake Turkana im nirgendwo zu verlieren verzichten und außerdem hat das Geklapper genervt.

Die Mägen mit einem Mittagessen gefüllt, Mobby für die nächsten Tage vorbereitet geht es am Nachmittag zu einer sehr schönen Campsite nähe Turmi bei der wir auch erste – zum Glück saisonbedingt ausgetrocknete Flussbetten durchqueren müssen.

Davor nehmen wir es uns aber nicht, noch dem Markt einen Besuch ab. Hier findet der kulturelle Austausch der doch so verschieden lebenden Stämme statt und Waren werden getauscht. Vor allem der Alkohol verkauft sich sehr gut, wie auch derren „Bier“, das sogenannte Talla.

Am späten Nachmittag erreichen wir die Campsite für diese Nacht und bauen unser Zelt in einer genialen Minute auf. Mamo fängt an für uns ein schönes äthiopisches Abendessen zuzubereiten und wir verbringen einen lustigen Abend mit ein paar Bier.