Anreise
Am Vortag der Abreise erzähle ich meinem lieben Kollegen Andreas, dass ich zwei Tage in Tel Aviv sein werde. Er ist mit einer Israeli verheiratet, und kennt Land und Leute. „Ich rufe sofort meinen Freund Yossi an, er soll die Tel Aviv zeigen“. Noch am selben Abend bekomme ich seine SMS mit den Kontaktdaten und dass er Yossi bereits informiert hat und ich ihn einfach anrufen soll. Freudige Erwartung.
15.12.2012
Am 15.12.12 geht es also los, Flug nach Tel Aviv, Flieger randvoll. Die Amerikanerin neben mir macht einen für sie fatalen Fehler – sie beginnt ein Gespräch mit ihrem Nachbarn zur rechten, einem Professor für moderne Kunst in Tel Aviv. Die verbleibenden 3h 59 Minuten des 4- stündigen Flugs doziert er ausführlich über die Kunstrichtungen und deren Bedeutungen. Sie tut mir Leid.
Ankunft Tel Aviv, Einreise, kein Stempel in den Pass bitte, Einreisebestätigung auf einem gesonderten Blatt – prima, danke! Dies wird allerdings bei der abschließenden Kontrolle trotz meines Protests wieder aus dem Pass raus genommen mit dem Hinweis, „Don´t need it – we have everything in the computer“. Ich glaube es, was sich später als fataler Fehler herausstellen sollte.
Es ist Sabbat. Selbst die öffentlichen Verkehrsmittel incl. der El Al (israelische Airline) verkehren nur extrem eingeschränkt. Also mit dem Taxi zum Hotel. Klein, familiär, sauber, mit einer schönen Dachterrasse und mitten im früher jemenitischen Viertel gelegen.
Punkt 19.30 Uhr kommen Yossi und seine Frau Gella zum Hotel und wir starten eine Sightseeing Tour „Tel Aviv bei Nacht“ bis hinunter nach Yaffa, Jerusalem dem geistlichem Zentrum von Israel – Tel Aviv dem Weltlichen. Und so ist von Sabbat bald nicht mehr viel zu spüren – die Stadt erwacht.
Yossi und Gella sind in Israel geboren und haben fast die ganze Entwicklung des Staates von klein an miterlebt. Beim anschließenden gemeinsamen Abendessen erfahre ich viel darüber und beginne besser zu verstehen, warum die Israeli „so sind, wie sie sind“. Fast alle kamen mit nichts als sich selbst ins Land und haben in 65 Jahren aus einem Stück Wüste ein modernes Land aufgebaut.
Israel hat heute gerade mal 7,5 Mio. Einwohner, davon etwa 6 Mio. Juden. Allein nach dem Zerfall der Sowjetunion kamen Anfang der 90er Jahre innerhalb kürzester Zeit mehr als eine Million Juden aus den ehemaligen Sowjetstaaten nach Israel. Eine Zuwanderung von 15% der Bevölkerung innerhalb weniger Jahre – aber auch das hat das Land hin bekommen.
Auf die Frage, wie sie geschafft haben, dass so vergleichsweise wenige Menschen in so kurzer Zeit dies auf die Beine stellen konnten und (typische Männerbeobachtung ) warum es hier so auffallend viele schöne Mädchen und Frauen gibt, meint Gella lachend „Hier siehst du das Beste aus 80 verschiedenen Nationen“.
Sonntag, 16.12.12
Kurzer Blick ins MarineTraffic.com – das Schiff mit Jens und Mobby ist auf dem Weg von Piräus nach Ashdod, voraussichtliche Ankunft Dienstag morgen, 03.30 Uhr, rund 5 Tage später, als geplant.
Tel Aviv hat einen der 10 schönsten Stadtstrände weltweit und der lange helle Sandstrand, der sich über weite Teile der Stadt erstreckt, lässt keinen Zweifel aufkommen, dass da etwas Wahres dran ist.
Es ist Sonntag, in Israel ein normaler Werktag, aber für eine Stadt mit 500.00 Einwohnern direkt und 1,2 Mio. Einwohnern im Einzugsgebiet geht es relativ geruhsam zu.
Ich folge Yossis Empfehlung, die Stadt mit dem Fahrrad zu erkunden. Hat man sich einmal registriert, kann man alle paar hundert Meter an entsprechenden Stellen ein Fahrrad ausleihen (ein System ähnlich wie es die Deutsche Bahn in den meisten deutschen Städten anbietet) und auch wieder abstellen. Und bezahlt wird immer nur die Zeit der „echten Nutzung“.
Allerdings scheitere ich beim ersten Versuch, mich zu registrieren kläglich. Daran, dass das englischsprachige Erklärungsvideo (ohne Ton) nicht wirklich hilfreich ist, kann es wohl nicht liegen. Selbstzweifel kommen auf – intellektuell überfordert, ein Fahrrad auszuleihen ?
Also zusehen, wie die mit dem System Vertrauten ein Fahrrad ausleihen. Ooh, die bekommen das auch nicht hin. Nein keine Schadenfreude, aber nicht nur ich bekomme es nicht hin. Verstanden, nicht ich blöd, sondern System kaputt. Nächste „Verleihstation“ – drei Fahrräder da (ich kann sie sehen und anfassen“, aber System sagt „keine Fahrräder da“ – o.k. Nochmals zwei Stationen weiter habe ich es dann aber geschafft, ich bin stolzer registrierter „Fahrradausleiher“ und habe ein Fahrrad. Nun ab durch die Stadt.
Das schnelle Wachstum und Entwicklung der Stadt ist überall sichtbar, auf der einen Seite kleine, einfache Häuser aus den ersten Tagen des Staates, direkt daneben türmen sich die Gebäude der Banken und Hotels. Und mittendrin Märkte, wie man sie eher in anderen Regionen der Welt vermutet. Doch wie sagte Gella doch gleich „das Beste aus 80 Nationen“.
Am Abend kommt dann Ralf an. Große Freude. Wir gehen in kleines Restaurant am Rande einer der engen Gassen. Ein Gewirr von Sprachen um uns herum, englisch, russisch, und, soweit wir es zuordnen können, arabisch und hebräisch. Daneben dunkelhäutige Gäste in einer uns völlig fremden Sprache. Und die Bedienung – strohblond – sie hat ihre Wurzeln in Schweden. 80 Nationen.
Dann bekomme ich eine SMS von Yossi, ob wir ihn und Gella am kommenden Tag nach Jerusalem begleiten wollen. Die Gastfreundschaft ist uns schon beinahe peinlich, aber natürlich kommen wir gerne mit.
Montag, 17.12.2012
Mit Yossi und Gella geht es quer durchs Land nach Jerusalem. Einmal West-Ost Durchquerung heißt hier allerdings gerade mal 50km.
Gella erzählt uns während der Fahrt, dass „nur“ 75% der Einwohner Israels Juden sind, über 20% sind arabischen Ursprungs und der Rest kommt vorwiegend aus den nordafrikanischen Staaten. Auf die Frage, wie das Zusammenleben dieser unterschiedlichen Kulturen in einem Land von der Größe Hessens insbesondere unter all den politischen Konflikten klappt, erzählt sie uns, dass es im Land gar keine Probleme gibt. „Man lebt friedlich zusammen und respektiert sich“. Das Problem sind, wie in der gesamt-politischen Lage, diejenigen, die ihre extremen religiösen oder auch politischen Ansichten vertreten; auf der israelischen ebenso wie auf der arabischen Seite. „Wir sind doch gewohnt, mit Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen zu leben. Und Israel doch ist ein Beispiel, wie dies im Lande funktioniert“. 80 Nationen.
Jerusalem kann auf eine fast 4.000 jährige Geschichte zurückblicken, wobei Funde wohl auf erste Siedlungen bereits um die Zeit um 5.000 v. Chr. hindeuten. Heute beherbergt Jerusalem unter anderem den Sitz des israelischen Präsidenten, die Knesset, das Oberste Gericht und Exekutive Israels, die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem.
Der Weg führt in die von einer Mauer umgebenen Altstadt,die in ein jüdisches, ein christliches, ein armenisches und ein muslimisches Viertel gegliedert ist. De facto leben auch hier diese unterschiedlichen Kulturen auf engstem Raum zusammen.
Durch ein Gewirr von Gassen, voll von Farben und Gerüchen, die all diese Vielfalt widerspiegeln, finden wir unseren Weg zum „Western Wall“, in Deutschen meist auch als „Klagemauer“ geführt. Die circa 400 Meter lange, Mauer“ ist ein Teil der Stützmauer des Plateaus, auf dem der große Tempel Herodes des Großen stand.
Dass man, um zur Klagemauer zu kommen, durch einen Metalldetektor muss, wäre eigentlich keine Erwähnung wert. Wäre da nicht der gesonderte Hinweis, dass „die obersten Rabbiner erlassen haben, dass das Durchschreiten des Metalldetektors nicht gegen die Sabbat- und Feiertags-regeln verstößt.
Direkt dahinter geht es Al Aqsa Moschee. Der Zutritt in den Bereich der Moschee ist nicht Muslimen nur zwei Stunden Vormittags und 2 Stunden Nachttags über einen speziellen Zugang erlaubt. Der Zugang in die Moschee selbst ist ausschließlich Muslimen vorbehalten.
Zum Mittagessen führen uns Yossi und Gella in einem kleines Restaurant außerhalb der Stadtmauern, das hauptsächlich von Einheimischen aufgesucht wird – super würde das Essen und die umgebende Stimmung nur unvollständig wiedergeben. Wieder einmal bewahrheitet sich – gehe dahin, wo die Einheimischen hingehen.
Die Knesseth hat geschlossen, und so schlagen Yossi und Gella vor, mit uns zur Yad Vashem Holocaust Gedenkstätte zu fahren. Ich bin mir zuerst nicht sicher, ob dies ein guter Gedanke ist und ich war eigentlich nicht in der Stimmung, mir ein weiteres Mal das düsterste Kapitel der Deutschen Geschichte zeigen zu lassen.
Gedenkstätte Yad Vashem
Ich wurde eines besseren belehrt – Yad Vashem –(„Denkmal der Namen“) -ist anders, ganz anders. Nicht anklagend, sondern erinnernd, und schon fast erschreckend nüchtern. Wir verbringen die meiste Zeit im „Museum der Geschichte“ – mit einem im Inneren in nüchternen Beton gehaltenen, architektonisch beeindruckenden und zugleich beklemmenden Ambiente. Am Ende des Gebäudes gelangen wir zur „Halle der Namen“. Hier sind die persönlichen Daten von Millionen von Opfern auf Gedenkblättern gesammelt. Diese Dokumente dienen als symbolische Grabstätte und beruhen auf den Angaben, die von Bekannten und Verwandten der Opfer gemacht wurden.
Bevor wir (viel zu früh) los müssen meint Gella, wir sollen unbedingt noch in das aus ihrer Sicht (und ich kann dies heute nur bestätigen) beeindruckendste Gebäude gehen – die Kindergedenkstätte. Die Gedenkstätte ist unterirdisch. Am Ende eines völlig dunklen Gangs ist etwas Licht zu erkennen, eine riesige Halle, eine Kerze ist zu erkennen. Die Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit und erkennen immer mehr Kerzen. Wir stehen mitten in einem Prisma aus leicht getönten Spiegeln. Ganz sanftes Kerzenlicht, unendlich viele Kerzen. Absolute Ruhe. Nur eine sonore Stimme verliest Namen, Herkunft und Alter der Kinder. Keine Worte – nur ein beklemmendes Gefühl.
Wir verlassen Yad Vashem in der untergehenden Abendsonne mit einem schwer zu beschreibenden Gefühl. Yad Vashem – Denkmal der Namen.
Es ist Nacht, als uns Yossi und Gella zu unserem Hotel bringen.
Yossi und Gella, ganz herzlichen Dank für die Zeit und insbesondere die unvergesslichen Eindrücke über ein Land und seine Menschen, das wir meinten zu kennen und doch eigentlich gar nicht kannten.